Dienstag, 13. März 2007

36 - Rudolf Bergander, Das Hausfriedenskomitee, 1952

Rudolf Bergander, geb. 1909 in Meißen, gest. 1970 in Dresden
Das Hausfriedenskomitee, 1951, Leinwand, 130 cm 170 cm, erworben 1960
Bei flüchtiger Betrachtung scheint in dem Gemälde alles ganz einfach zu sein. In einem schmucklosen Zimmer sind um den mit einer roten Decke bedeckten Tisch fünf Menschen versammelt. Einer von ihnen spricht, die anderen hören zu und reagieren auf das Gesagte. Genauer: Der junge Mann im Vordergrund hat gerade etwas gesagt und der mit einer Geste die Rede unterstützende Arm ist noch in der agierenden Haltung verblieben. Die Hand ragt steil aufwärts in den Bildraum. In dem Bild herrscht Stille, aber es ist die Stille, die nur Sekunden währt, die eine Auseinandersetzung unterbricht, nicht wie eine kurze erholsame Pause, sondern als Möglichkeit, Kraft und Spannung für den Fortgang der Debatte zu sammeln. Das Geheimnis der Wirkung des Gemäldes liegt im Erfassen und Gestalten eines solchen Momentes.

Der Agitator - (W.S.: Er befindet sich in einer Gesprächsrunde im Gegensatz zum Straßenagitator der zwanziger Jahre wie ihn Conrad Felixmüller und Curt Querner gestalteten.- / Dieses Gemälde wurde vor längerer Zeit an eine Ausstellung in den USA ausgeliehen. Der umfangreiche Leihverkehr der Gemäldegalerie Neue Meister und ihr reges Ausstellungswesen sind in den Jahrbüchern der Staatlichen Kunstsammlungen dokumentiert.) - hat sich im Eifer der Rede nach rechts zu dem jungen Mädchen, dem ganz offenbar in erster Linie sein Wort gilt, gewandt.Es sieht es an. Die leicht vorgeschobenen Lippen sind geschlossen. Das Haar ist ihm in die Stirn gefallen. Jeder Zug des schönen Gesichts und die Spannung des Körpers spiegeln Erregung. So schweigt Antwort heischend einer, der von der Sache, die er gerade vortrug, ganz und gar überzeugt ist. Die Erregung des Mannes ist weit entfernt von jeder fahrigen Aufgeregtheit. Das Mädchen ist zurückgewichen. Es sieht nicht nur von dem Buch auf, das vor ihm liegt, sondern der ganze Oberkörper ist steil aufgerichtet und dem Redner voll zugewandt. Es ist, als ringen in ihm noch eigensinnige Abwehr mit der Bereitschaft, sich Argumenten zu ergeben. Dieser Widerspruch bedingt die Komposition der Figur. Der tatenlos herabhängende linke Arm mit der unentschieden wirkenden geöffneten Hand kontrastiert zu dem gespannten Aufragen des Körpers. Der Kopf ist leicht emporgeworfen.Das leuchtende rote Haar über dem bleichen Gesicht und das strahlende Grün der Bluse bilden zusammen den stärksten Farbakkord des Bildes und sind in ihrem Zusammenklang so aktiv, daß sie die aufgewühlte geistige Verfassung dieses vor tiefen Wandlungen stehenden Menschen verstärken.

Hier ist noch keine Entscheidung gefallen. Aber der Künstler hat dem Mädchen eine ältere Frau gegenübergesetzt, deren besorgtes und verhärmtes Gesicht, Spiegel leiderfüllten Lebens, zum bildhaften Beweis des von dem Redner Vorgetragenen wird. Die Gleichartigkeit der Körperhaltung dieser Frau mit der des Agitators und die Verwandtschaft der farblichen Gestaltung beider Figuren sind Ausdruck der inneren Übereinstimmung zweier Generationen im zielbewußten Ringen um jeden Menschen.

Aus: Katalog "Vom Werden des neuen Menschen" Dresden, 1971
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden 1987