Donnerstag, 8. März 2007

30 - Bernhard Kretzschmar, Winterlandschaft, 1916, Zur Réunion,1923, Der gebetene und der ungebetene Gast,1935/37


Bernhard Kretzschmar, geb. 1889 in Döbeln, gest. 1972 in Dresden
Winterlandschaft, 1916, Leinwand, 65,0 X 78,0 cm, erworben 1952
Zur Réunion, 1923, Leinwand, 73 X 101 cm, erworben 1926
Der gebetene und der ungebetene Gast, 1935/37, Leinwand, 75,5 X 105 cm, erworben 1947

(Abb. Straße in Döbeln mit Pferdebahn, 1925/26, Ol, 72 X 84, cm, Katalog Gemäldegalerie Neue Meister, 5. Auflage, 1977, Abb. 73)


Die erste große Ausstellung des Malers und Grafikers Bernhard Kretzschmar in der Berliner Nationalgalerie ist nun doch eine Gedächtnisausstellung geworden. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir allein in Dresden, in der Stadt, in der er mehr als sechs Jahrzehnte bis zu seinem Tode am 16. Dezember 1972 wirkte, Gespräche führten, um ihn zu animieren, sein Lebenswerk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch er verhielt sich solchen Vorhaben gegenüber stets ablehnend, wich aus und lenkte die Rede schnell auf andere Themen. In dem kleinen Heft, das Diether Schmidt in der Reihe Maler und Werk des Verlages der Kunst über Kretzschmar verfaßte, heißt es dazu: "Das Produzieren war diesem Mann stets wichtiger als das Repräsentieren". Lassen wir es bei dieser Auskunft bewenden, obwohl die nunmehr zustandegekommene Ausstellung auch andere Gründe, die damals allein der Künstler kennen konnte, sichtbar macht. -

Die frühen Bilder der Ausstellung zeigen den Einfluß der spätimpressionistischen Dresdner Malerei. Die "Winterlandschaft" von 1916 ist eine malerische Glanzleistung des damals 27jährigen Künstlers. Wie hier mit mannigfaltigen Weißabstufungen und blauen Schatten ein Ausschnitt schneebedeckter Gartenlandschaft geformt ist, läßt für die weitere Entwicklung auf einen eminenten Naturgestalter schließen. Wenn auch seine späteren Bilder in den häufig wie hingetupften Tönen kühler und zugleich farbiger werden, wobei häufig intensives Blau und Grün, Gelb und Braun unvermittelt und manchmal sogar hart nebeneinander stehen, geht von ihnen stets der Zauber tief empfundener Naturerlebnisse aus. - Neben diesen großangelegten Landschaften gibt es Straßenbilder und Interieurs in denen dem Menschen eine den Bildinhalt bestimmende Rolle zugemessen ist. - In dem Gemälde "Gasthof in Niederpoyritz" 1923 gehen Kleinbürger aufgeputzt in trivial-feierlichem Sonntagsstaat, mit kurzen Schritten zur Vorstadtkneipe, um im angebauten Tanzsaal eine billige "Reunion" zu feiern..

Solche Figuren und Verhältnisse, die wir in der "Straße in Döbeln mit Pferdebahn" (1925) und in dem gesellschaftskritischen Genrebild "Der gebetene und der ungebetene Gast" (1935/36) kennenlernen, hatte in der Literatur Hans Fallada geschaffen. Kretzschmar ist hier der Gestalter der kleinen Leute, der Kleinbürger, deren Leben mit allen seinen Belanglosigkeiten er seit frühester Kindheit kannte.-

Das Lebenswerk Bernhard Kretzschmars hat in der Kunstgeschichte der DDR einen festen und geachteten Platz. Die grenzenlose Liebe zur Natur und die von Vorbehalten nicht unbelastete Hinneigung zum einfachen Menschen inspirierte seine künstlerische Begabung zu Werken von hohem und sehr eigentümlichen Zauber.

In: Neues Deutschland, 12.12.1974
Abb.in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen 1987