Donnerstag, 15. Februar 2007

Texte (Nr. 1- 19) von Joachim Uhlitzsch,Direktor der Gemäldegalerie Neue Meister von 1963 - 1984. - 1. Wilhelm Rudolph, das zerstörte Dresden, 1952,


Wilhelm Rudolph, geb.1889 in Chemnitz, gest.1982 in Dresden.
Das zerstörte Dresden.1952. Erworben 1959. Leinwand,110 X 150 cm.
(Abb. Farbige Gemäldewiedergaben Nr.2, E.A.Seemann 1968, Joachim Uhlitzsch)

Wohl in allen deutschen Ateliers wurden in den ersten Nachkriegsjahren Bilder zerstörter Wohnstätten geschaffen, in denen sich die Künstler mit der zerrissenen und zerfaserten Abscheulichkeit der Kriegsfolgen auseinandersetzten und das Phänomen des imperialistischen Krieges zu bewältigen suchten. Es entstanden Gemälde wie die "Ruinennacht" Carl Hofers, in denen Trümmer ins Dämonische übersteigert zum Abbild der Trümmerhaftigkeit menschlichen Daseins wurden oder Bilder wie "Am Rande der Ruinenstadt" von Heinrich Ehmsen, in denen die bloßgelegten Eingeweide einstiger Behausungen ein gespenstiges Eigenleben zu führen begannen und die dem Betrachter verwirrende oder auch sentimentale Reize vermitteln. Solchen Deutungen politischer Wirklichkeiten, die historische Tatbestände als gegeben hinnehmen, sie ins Unwirkliche verschieben und die zerbrochenen Mauern und Steine als Symbole seelischen Zerbrochenseins auslegen, ist Rudolphs Bild geradezu entgeggengesetzt. Mit der unbedingten Wahrheitsliebe eines Chronisten hält der Künstler das Gesehene fest, aber unter seiner Hand belebt sichdie tote Ruinenstadt. Ein erbarmungsloses Licht legt die Wunden des vernichteten alten Dresdens bloß. Gleichsam hilflos wirken die Trümmer des Vordergrundes, durch die Menschen in ersten Aufräumungsarbeiten einen Weg zu der tödlich getroffenen Frauenkirche gebahnt haben. Gerade dieser so ordentlich angelegte Weg bezeugt, daß hier etwas geschieht, daß man den Trümmern zu Leibe rückt, weil der Wille zum Leben stärker ist als die Vernichtung.
Aber noch nimmt der Weg nur einen kleinen Teil des Bildes ein. Die aufgerissene und ihres Hauptes, der Kuppel, beraubte Frauenkirche, deren rechter Teil noch einen Eindruck von der Schönheit der barocken Außenmauer gibt und deren linker mit der Öffnung nach innen einer großen Wunde gleicht, ist anklagendes Mahnmal großer, für immer zerstörter Kultur. Die enthäutete Häuserzeile, die, vom dunklen Rathausturm überragt, rechts von der Kirche verläuft und unter wechselndem Licht und Schatten bizarr und geheimnisvoll zu leben beginnt, hält den Blick des Betrachters vor dem unübersehbaren Trümmermeer auf, in das Menschen Wege zu treiben beginnen.
Mannigfache Rot- und Ockertöne der Steine und verletzten Mauern beherrschen die Farbskala des Gemäldes. Die tiefen Graus der Mauern der Frauenkirche gliedern das Bild. Im Verein mit der das Gemälde rechts beschließenden rot-grauen Brandmauer bestimmen sie die Raumaufteilung nach der Breite und in die Tiefe. Sie lenken das Auge von der Kirchenruine des Mittelgrundes in den Hintergrund, der vom Rathausturm markiert und beschlossen wird, und führen von dort wieder zurück in den Vordergrund zu der das Bild begrenzenden Brandmauer. So kommt für den Betrachter eine Dynamik in die Ruinenstadt,die von den Vertikalen als rhythmisch bestimmenden Zäsuren ausgelöst und zugleich aufgefangen wird. Der wolkenbedeckte Himmel, in dem die Farben der Stadt gedämpft aufgenommen sind, faßt das Bild zu vollendeter Einheit zusammen. Die so von den Körpern und Farben gleichermaßen erzeugte Tiefenwirkung und der Schwung nach oben und in die Breite schaffen die ergreifende Monumentalität eines Wahrzeichens der Zerstörung und ihrer Überwindung, des Todes und des ihn besiegenden Lebens.
In: Wilhelm Rudolph, Farbige Gemäldewiedergaben, VEB E.A.Seemann Verlag. Leipzig 1968
Abbildung in: Gemäldegalerie Neue Meister, Bestandskatalog, Dresden, 1987

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