Freitag, 23. Februar 2007

11 - Lovis Corinth, Walchensee, 1920


Lovis Corinth, geb. 1858 in Tapiau, gest. 1925 in Zandvoort
Walchensee, 1920, Leinwand, 80 X 110 cm

(Abb. Katalog Gemäldegalerie Neue Meister, 1977, Abb.57)

Mit Ehrungen, Auszeichnungen und hochbezahlten Aufträgen überhäufte das Geldbürgertum Corinth, doch zugleich zog es ihm damit Grenzen, die zu überschreiten er nicht vermochte. Daß er trotzdem ein Großer der Kunstgeschichte wurde, verdankte er seiner eminenten künstlerischen Kraft, der unzerstörbaren Liebe zur Natur und zum Menschen.

Corinth wird in der Regel von der Kunstgeschichte als deutscher Impressionist charakterisiert. In bezug auf die dynamische, Licht und Atmosphäre als wichtige Gestaltungsmittel heranziehende Malweise trifft das zu. Doch im Gegensatz zu den französischen Impressionisten, die sich bemühten, lediglich den momentanen Eindruck (Impression) eines Motivs bildausschnitthaft festzuhalten, und vorgaben, das Motiv selbst geringzuachten, blieb Corinth ganz eng am Darzustellenden. In seinen Porträts rang er um die geistige Ausdeutung der Modelle, und in den Naturdarstellungen arbeitete er stets Typisches heraus. Eine solche Kunstweise ist die Folge einer von Anfang an realistischen Konzeption. "Der eine Name Rembrandt leuchtet durch alle Finsternis", schrieb Corinth als alter Mann. Der große Holländer, der alles erreichte wonach Corinth strebte, war sein heimliches Vorbild. Aber beide trennten Jahrhunderte. In Rembrandts Epoche war das religiöse Thema noch tragfähig für die Zeit. Damals wurde mit der "Heimkehr des verlorenen Sohnes" ein gewaltiger ethischer Apell gestaltbar. Der "Verlorene Sohn" Corinths von 1891 ist nur noch jämmerlich. Ähnliches läßt sich von Themen aus der antiken Sage und Geschichte konstatieren. Und die Zeitgeschichte selbst? Eine "Nachtwache" der modernen Bourgeoisie ist schon, wenn man so etwas nur nennt, lächerlich, Corinth blieben die "Logenbrüder" von1898 mit ihrer Arroganz, Geheimniskrämerei und Genußsucht. Zur Geschichte des letzten deutschen Kaiserreiches hat er nicht einmal eine Skizze versucht, aber nach der Totenmaske des ermordeten Karl Liebknecht schuf er eine Zeichnung und zwei Lithographien. Diese Blätter gehören schon zu dem reichen Schatz der deutschen proletarisch-revolutionären Kunst.
Aus: Neues Deutschland, 17.7.1975, Zum 50. Todestag von Lovis Corinth
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen, 1987