Montag, 19. Februar 2007

4 - 6 . Wolfgang Mattheuer. Werner Tübke,







Wolfgang Mattheuer, geb.1927 Reichenbach im Vogtland, gest.2004 in Leipzig.
Die Flucht des Sisyphus, 1972, Hartfaserplatte, 96 X 118 cm,

(Abb. Katalog Wolfgang Mattheuer 1975,Nr. 30 - 1. Die Flucht des Sisyphos, 1972, - 2. Sisyphos behaut den Stein, 1974, Gemäldegalerie Alte und Neue Meister, Abb.Nr.194 - 3. Werner Tübke, Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten, 1972, Katalog Gemäldegalerie Neue Meister 1977, Abb.98. -4. Katalog Werner Tübke 1976, Gruppenbild, 1972, - 5. Katalog Wolfgang Mattheuer 1975, Das vogtländische Liebespaar, 1972,Umschlag)



(W.S.): "1974 veranstaltete die Gemäldegalerie Neue Meister zum 200. Geburtstag von Caspar David Friedrich eine umfangreiche Personalausstellung, die auch im Ausland gezeigt wurde. Es war ein glücklicher Gedanke - der überbordende Besucherandrang zu den Kunstgesprächen bewies es - dieser Ausstellung eine kleinere Schau von Werken Wolfgang Mattheuers anzuschließen. - Seine und Werner Tübkes Werke blieben auch nach 1989 und nach verschiedenen, grundsätzlich geänderten Hängekonzeptionen Höhepunkte der Gemäldegalerie Neue Meister."

Die Flucht des Sisyphos.- Darin liegt das Ungewöhnliche des Realismus Wolfgang Mattheuers. Unsichtbares dringt in einige seiner Werke als ein in der Wirklichkeit nie erschaubares, weil tatsächlich nicht vorhandenes Gebilde ein, das lediglich in den Köpfen mancher Menschen als Realität exisiert. Mattheuer formt es zu einer unerwarteten und letzten Endes stets peinvollen, weil entlarvenden künstlerischen (und auch künstlichen) Gestalt. So etwas kann vorübergehend zu unterschiedlichen Deutungen und zu geistiger Unruhe führen. In dem Maße jedoch, wie der aufmerksame, nachdenkende Betrachter hinter die Dinge kommt und sich ihm das scheinbare Rätsel löst ( was beim kunstsinnigen Menschen mit tiefem Vergnügen verbunden ist), schwindet die Unruhe vor der durch das Bild erfahrenen Ekenntnis. Gewiß ist in der bildenden Kunst nur wichtig, was man sieht, aber zwischen Sehen und Begreifen liegt ein mehr oder weniger langer Prozeß, den zu vollführen man bereit sein sollte.-

Zu den kompliziertesten, den Betrachter fordernden Werken gehört die "Flucht des Sisyphos". In den Sagen des klassischen Altertums ist nachzulesen "Sisyphos, der Sohn des Aiolos, der listigste aller Sterblichen, baute und beherrschte die herrliche Stadt Korinth auf der schmalen Erdzunge zwischen zwei Meeren und zwei Ländern. Für allerlei Frevel und Übermut gegen die Götter traf ihn in der Unterwelt die Strafe, daß er einen schweren Marmorstein, mit Händen und Füßen angestemmt, von der Ebene eine Anhöhe hinaufwälzen mußte. Wenn er aber schon glaubte, ihn auf den Gipfel gedreht zu haben, so wandte sich die Last um, und der tückische Stein rollte wieder in die Tiefe hinunter. So mußte der gepeinigte Verbrecher das Felsstück wieder von neuem und immer von neuem emporwälzen, daß der Angstschweiß von seinen Gliedern floß."
Sisyphos trifft das schwerste Los, das einem Menschen beschieden sein kann. Er muß eine Arbeit leisten, die ohne jeden Sinn und Zweck ist. Er ist der Unglücklichste von allen, denn nach seinem Tun fragt niemand, weil sein Tun niemand braucht. Es gibt andere Könige und schuldhaft gewordene Helden in den Sagen der Antike, die in der Unterwelt schreckliche Qualen auszustehen haben, aber keiner wurde dazu verurteilt, ganz und gar Nutzloses ausführen zu müssen. Nur eine in der Sage allerdings unerlaubte Tat kann Sisyphos von dieser verruchten Strafe befreien. In dem Bild ist das die heillose Flucht vor dem sinnlosen Tun. (irre ich nicht, so ist das Land im Tal den mit Dörfern und neuen hohen Häusern bebauten vogtländischen Landschaften Mattheuers, der Heimat des Künstlers nahe verwandt).
Hinter dem flüchtenden Sisyphos und dem nachrollenden Stein steht eine groteske, unangenehme Figur. Ein Mann, den Körper weggewandt, blickt dem Fliehenden nach. Doch der Mann verdeckt sein Gesicht mit einer Schafsmaske. Er will unter allen Umständen unerkannt bleiben, will nichts gesehen haben, wenn er gefragt werden sollte. Er will sich darauf herausreden können, ein Schaf zu sein. - Da ist wieder der Gleichgültige, Feige, der durch und durch wegen seiner Passivität und Verlogenheit Gefährliche.

Aus: Ausstellungskatalog Gemäldegalerie Neue Meister Dresden, Wolfgang Mattheuer,1974
Abb.: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987


Das vogtländische Liebespaar, 1972, Hartfaser, 105 X 129 cm. erworben 1975

"Kann der Künstler von der immer veränderten Natur nie mehr als einen einzigen Augenblick, und der Maler insbesondere diesen einzigen Augenblick auch nur aus einem einzigen Gesichtspunkt brauchen, so ist gewiß, daß jener einzige Augenblick und einzige Gesichtspunkt nicht fruchtbar genug gewählt werden kann. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir
zu sehen glauben." Diese Feststellung Lessings ist von grundsätzlicher Bedeutung, und wenn wir an die VII. Kunstausstellung der DDR zurückdenken, dann erinnern wir uns, daß gerade solche Bilder, bei denen wir am meisten hinzudenken konnten und daher am meisten zu sehen glaubten, die umfassendsten und heftigsten Diskussionen auslösten. Wolfgang Mattheuers "Schwebendes Liebespaar" hatte mehr als 100 Leser der Sächsischen Zeitung zu schriftlichen Stellungnahmen veranlaßt. Bei ihm wurde Hinzudenken in höchstem Maße provoziert, aber die Gleichsetzung des eigenen Lebens mit dem hoch in die Lüfte gehobenen, über eine weite Strandlandschaft dahinschwebenden Paar war auf Grund des absonderlichen Ortes, an dem sich die beiden umarmten, nur wenigen Besuchern möglich. Das Gelöstsein von der Erde empfanden viele als Losgelöstsein von der Gesellschaft. -

Die Gemäldegalerie Neue Meister hat die jüngste Arbeit Wolfgang Mattheuers erworben, die er während der VII. Kunstausstellung der DDR in seinem Leipziger Atelier schuf. Das "Vogtländische Liebespaar" ist eine neue Variante des weiten Themas der Liebe. -
Weit erstreckt sich die vogtländische Landschaft mit ihren sanften Höhenzügen, den l ieblichen Tälern und der das Land duchziehenden Autobahn. Ein goldstrahlender Abendhimmel mit einer hellen Sonne überdacht die Natur, in der allein und sich selbst überlassen zwei junge Menschen stehen. Sie umarmen sich, und der Mann zieht seinen Mantel um die Frau. In der Kunst vergangener Zeiten war das eine Gebärde des Schutzes. Doch wovor sollte der junge Mann heute seine Geliebte schützen? Niemand wird ihr etwas antun. In unserm Bild ist die Geste zum Ausdruck der Liebe geworden. Die schöne Harmonie, die zwei Menschen verbindet und sie in die Natur einbezieht, wird zeitgemäß durch die ebenfalls harmonisch in die Landschaft eingebundenen Dörfer und arbeitenden Betriebe mit den rauchenden Schloten. Viel können wir hier im Sinne Lessings dazudenken, und je mehr wir das tun, um so mehr werden wir sehen.

Aus: Sächsische Zeitung, 25.5.1973
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden 1987





Werner Tübke, geb.1929 in Schönbeck, gest. 2004 in Leipzig

Gruppenbild, 1971/2, Tempera/Spanplatte, 147,5 X 147,5 cm, erworben 1972
Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten, 1972, Holz, 80 X 170 cm, erworben 1974
(Eduard Beaucamp, FAZ 24.7.1999:Im westlichen Kunstbetrieb erregt Tübke, der changierende Indiualist, Ratlosigkeit und Unbehagen. Der Aristokrat und Sozialist, der Realist und Manierist ...durchkreuzt alle Rollenvorstellungen... Der Mauerfall von 1989 wurde auch als Sieg westlicher Ästhetik gefeiert. In Ost wie in West verschwanden Tübkes schönste Bilder in den Museumsdepots. Doch das Publikum denkt anders als seine Präzeptoren und setzt sich über die herrschende Kuratorenästhetik hinweg: Jahr für Jahr pilgern über hunderttausend Kunstfreunde zum herrlichen Bauernkriegspanorama ins entlegene Bad Frankenhausen in Thüringen...Man tut die abgekapselte, ummauerte DDR-Kunst gern als giftige Provinz ab. Doch die Verinselung und repressive Enge ließ die Bildphantasien, die bei westlichen Zeitgenossen, denen die Welt offenstand, eintrocknete, förmlich explodieren).
´

Joachim Uhlitzsch:
Der Künstler kann sich freuen, daß seinem Bild (Gruppenild) ein optimistishes Verhältnis zur Zukunft attestiert wird. Auch ich freue mich, denn das Gemälde wird nach der VII. Kunstausstellung in Dresden bleiben und noch lange Anlaß zu ernsten und meinetwegen auch heftigen Diskussionen geben.

Warum erinnert das Bild an Darstellungen aus der Renaissance? Ganz einfach, weil Tübke sich auf die Renaissance orientiert. Er tut das, weil er doch offenbar der Meinung ist, daß diese kunsthistorische Epoche für uns auswertbar ist. Das Sonderbare daran ist nur, daß Tübke die Auswertbarkeit der Renaissance nicht in dem Sinne versteht, daß sie in ihrem kühnen revolutionären Erkenntnis- und Tatendrang für uns von höchster aktueller Bedeutung ist, sondern daß er der Kunst der Renaissance darüber hinaus unmittelbare Brauchbarkeit für die bildende Kunst unserer Tage zuerkennt. Demnach sind die Gestaltungsmittel der Renaissancekunst, ihre Kompositionsgerüste, ihre Formen und Farben für die Kunst des sozialistischen Realismus anwendbar. -

In einem Brief vom Dezember des vergangenen Jahres schrieb Werner Tübke an mich zu dem Bild:"Das Gruppenbild ist rechtschaffen gemalt und steht - auch moralisch - für sich. Ich kann dieses Bild verantworten." Dem ist beizustimmen. Tübke wertete die Mittel der Kunst einer Epoche aus, die Friedrich Engels "die größte progressive Umwälzung" nannte, "die die Menschheit bis dahin erlebt hatte, eine Zeit, die Riesen brauchte und Riesen zeugte." - So weit, so gut. Wir können uns zufriedengeben, alles ist aufs beste bestellt. Aber da ist noch die Feststellung, wonach dem Bild ein optimistisches Verhältnis zum Zukünftigen bescheinigt wird. Und da trennen sich unsere Wege. -

Wir wissen, daß die Renaissancekunst von sakral bestimmter, unberührbar byzantinischer Ferne (etwa Gotik) zu atmender menschlicher Nähe führte, doch damit zugleich und unbedingt Hoheit und Würde, Erhabenheit und Überlegenheit der Einzelpersönlichkeit prägte. In der Periode der frühbürgerlichen Revolution war das eine Errungenschaft von höchstem gesellschaftlichen Wert. Doch wir sind weiter. An die Stelle der erhabenen Einzelpersönlichkeit ist das aus Einzelpersönlichkeiten bestehende schöpferische Kollektiv getreten, und dieser produktivste Kern unserer Gesellschaft ist mit den Mitteln der Renaissance nicht mehr gestaltbar. (Tübke weiß das auch und bezieht aus diesem Grunde heftige Bewegungen, frappierende Verkürzungen unter anderem des auf die Renaissance folgenden Manierismus in die Gestaltung ein, um Handlungen und Verbindungen zu schaffen.) Aus all dem zuletzt Gesagten komme ich zu folgender Einschätzung: Tübkes Gruppenbild ist ein hoch zu wertendes Beispiel, das Bild des sozialistischen Menschen mit den Mitteln einer vergangenen großen humanistischen Kunst zu verkörpern. Das Bild enthält alle nur vorstellbaren Möglichkeiten der unmittelbaren Ausnutzung dieser Mittel. Haushoch steht es über den Versuchen in der VII. Kunstausstellung, Formen der Neuen Sachlichkeit für die Darstellung unserer Menschen zu verwenden. Doch gerade weil das Bild mit tiefem Ernst, Verantwortung und eminentem Können gemalt ist, zeigt es bei aller Berechtigung seiner Existenz die Grenzen derartigen Unterfangens.

Aus: Ein Beitrag zu unserer Diskussionsfolge, Union, 18.1.1973
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen 1987

...Nun kann für einen Künstler die Brigadeberatung eine erregende, stürmische, ja ungestüme Diskussion sein, wie sie der hallische Maler Willi Neubert einmal darstellte und dabei bezeichnenderweise die ausfahrenden dynamischen Formen des Italieners Renato Guttuso verarbeitete. Es kann aber eine solche Beratung ebensogut im Moment des Verharrens und gedankentiefen Schweigens gestaltet sein. So etwas gerät dann leicht ins Feierliche. Die heftige Erregung des tönenden Disputes ist das eine, die spannungsvolle Stille geistiger Konzentration das andere. Zur Meisterung des zweiten ist die Durchforschung renaissancehafter Erhabenheit durchaus nicht unangebracht.

Heinrich Wölflin schrieb 1905 im Zusammenhang mit Dürers großen Gemälden, die in entscheidender Weise von der italienischen Kunst beeinflußt sind, daß das Feierlichste, was damals in Italien an Bildern gemalt wurde, ausgezeichnet war durch "das ruhige Beisammensein von Figuren in schön beschlossenem Raum. Still breiten sich die Flächen, still gleiten die Linien. Jeder Schatten ist weich eingebettet, und das Licht wirkt mild und ruhig.Und dazu die satte Farbe mit ihrem sanften Glühen".Die schönen Sätze könnten Tübkes Bild zugedacht sein. Ähnliches läßt sich auch von dem "Chilenischen Requiem", ...ja selbst dem "Bildnis des sizilianischen Großgrundbesitzers mit Marionetten" konstatieren.

Aus: Ausstellungskatalog Werner Tübke, Dresden 1976


Hermann Raum in: Sonntag, 14.3.1976
(Zur Personalausstellung der Gemäldegalerie Neue Meister in Dresden und Leipzig)
Bereits nach 24 Öffnungstagen hatte die Tübke-Ausstellung im Dresdener Albertinum die Grenze von sechzigtausend Betrachtern überschritten. Auch in unserem mit Besucherzahlen verwöhnten Kunstleben ist dies ein bemerkenswertes und keineswegs nur quantitativ zu wertendes Zeichen. Das Werk des 47jährigen Malers, Rektor der Leipziger Kunsthochschule ist in hohem Maße und bestem Sinne des Wortes umstritten.

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