20 - Wilhelm Rudolph, Lumpensammler, 1936
Wilhelm Rudolph, geb. 1889 in Chemnitz, gest. 1982 in Dresden
Lumpensammler, 1936, Leinwand, 110 X 98 cm, erworben 1947
(Abb. Lumpensammler, in:Farbige Gemäldewiedergaben, 1968,Nr. 1)
Das um 1936 gemalte Porträt eines Lumpensammlers ist charakteristisch für einen neuen malerischen Stil als Ausdruck eines gewandelten ästhetischen Verhältnisses zur Wirklichkeit. Eingehüllt in einen abgetragenen Mantel sitzt der Alte vor uns. Blicklos hat er die Augen nach unten gerichtet. Der Körper ist zusammengesunken. Alle Formen der Gestalt weisen nach unten. Vom leicht vorgenommenen Kopf und den sich senkenden Schultern über die gewinkelten Arme, mit den auf den Schenkeln ruhenden Händen, setzt sich bis zu den Fingern eine fallende Bewegung fort. Sie wird auch von dem über den Schoß genommenen leeren Lumpensack nicht aufgehalten, sondern von dort weiter bis an den Bildrand geführt. Die erdigen braunen und grauen Töne beleben in unzähligen Nuancen die Figur und das karge Interieur. Sie gliedern in ihrem Wechsel die Körperlichkeit der Gestalt und die Tiefe des Raumes. Dabei ist der Künstler so verfahren, daß Hell und Dunkel, einander ablösend, den Blick des Betrachters vom Kopf des Alten über die Gestalt und die Hände immer wieder zum kärglichen Handwerkszeug des Mannes, dem schmutzigen Lumpensack gleiten lassen. -- Hände und Kopf entsprechen einander im Grundton. Es ist ein durch wenig Licht aufgehelltes Braun, das im Zusammenklang mit dem beinahe schwarzen Braun des Mantels zu lebendigem Fleisch wird. Die Komposition der Farbe und die Fähigkeit, mit ihr Stoff, Haar, Fleisch u.a. gleichsam zu materialisieren, sind für Rudolph selbstverständlich und nichts anderes als die notwendige Voraussetzung, um den moralisch-geistigen Inhalt der künstlerischen Gestalt ansprechbar zu machen.--
So rücksichtslos er das armselige und elende Dasein des alten herumgestoßenen und verbrauchten Mannes enthüllt, so behutsam geht er mit dem Gefäß des Lebens, der physischen Erscheinung des Menschen um.--
Vielen Bildnissen, die Rudolph in diesen Jahren schuf, geht ein Zug des Entsagens und Verzichtenmüssens auf alles Lebensglück aus. Er bevorzugte Modelle, die solchen Ideengehalt schon in ihrem Äußeren entgegenkamen. In des Künstlers intuitivem Widerwillen und der Auflehnung gegen den Faschismus liegen die Wurzeln dieses neuen Stils, in dem sich Trauer und Empörung offenbaren. --
Es ist leicht einzusehen, daß solche Kunstwerke, die unbeeindruckt von der wirtschaftlichen Scheinblüte Deutschlands in den ersten Jahren der Herrschaft Hitlers geschaffen wurden, immer offener Vorbehalte gegenüber der nationalen Entwicklung zum Ausdruck brachten und dem empfindungsfähigen Menschen mit der Gestaltung der Schattenseiten des Lebens Ausblicke auf eine herandrängende Katastrophe gaben, von den Machthabern des Dritten Reiches anfangs als lästig, bald aber als unerträglich empfunden wurden.
Aus: Farbige Gemäldewiedergaben, Wilhelm Rudolph, VEB E.A.Seemann, Leipzig, 1968
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche KUnstsammlungen, Dresden 1987