Bert Heller, geb. 1912 in Aachen, gest. 1970 in Berlin
Bildnis Helene Weigel, 1951, Pappe, 74 cm X 56 cm, erworben 1951
Adieu Elfenbeinturm, 1960, Hartfaser, 125 cm X 2oo cm, erworben 1966
(Abbildungen Katalog Bert Heller, 1972, - mit erstem vorläufigen Werkverzeichnis mit wiss. Apparat von W.S. - 1.Umschlag:Vorentwurf zum Mosaik am Restaurant Moskau in Berlin, kein Galeriebesitz, - 2. Adieu Elfenbeinturm Abb. 39)
Bert Heller malte die Schauspielerin Helene Weigel im Jahre 1951. Er berichtete später über die Entstehung des Bildes: " Vor einigen Jahren malte ich Helene Weigel. Lieb wie sie ist, hielt sie still. Nach einigen Sitzungen entstand ein, wie sagt man, wohlgelungenes Konterfei. Zu Hause wurde mir nach einigem Abstand übel vor dem Bild. Die Komposition stimmte, es war ähnlich und plastisch, sogar farbig. Aber die Farbigkeit sprang aus der Fläche heraus, paßte ganz und gar nicht zueinander. Vor dem Modell schien alles richtig, aber trotz guter Details war es kein Bild geworden. In meinem Unglück nahm ich ein Spachtelmesser und schabte all das ungeordnete Detail weg. Malte dann mit großen Pinseln, bis ich glaubte, eine Bildeinheit erreicht zu haben. Dann zeigt ich es ihr. Sagte die Weigel ganz traurig: `was hast` mir denn da für eine Sauce übers G`sicht geschmiert?`Dann hat mir die große Schauspielerin von ihrer Arbeit erzählt, wie dort das Detail erst den großen Bogen formt, wie wichtig die kleinen Dinge sind, daß auch das Große gefüllt sein muß, soll es nicht leer sein.
Das Bild ist jetzt in der Dresdner Gemäldegalerie Neue Meister. Es ist nicht schlecht. - Ich bin nur einen Schritt abgeirrt auf der Suche nach einer richtigen Übersetzung des Geistigen."
Die selbstkritische Bemerkung am Schluß des Berichtes, wonach er "einen Schritt abgeirrt auf der Suche nach einer richtigen Übersetzung des Geistigen" sei, will nicht einleuchten, denn das Porträt ist eine künstlerische Verallgemeinerung sondergleichen. Die Reduktion der wichtigen kleinen Dinge (von ihnen sprach die Weigel) auf das Erforderliche - links der schmale Streifen eines rotbraunen Vorhangs, dann die Wand mit dem Plakat zur "Mutter Courage" und rechts die aufeinanderstoßenden Farben Braun, Schwarz und helles Grau - ist mit großer Folgerichtigkeit ausgeführt. Das theatergemäße Milieu verschmilzt vollkommen mit der ein wenig verschmitzt, doch ohne Arg aus den Augenwinkeln blickenden Gestalt der Schauspielerin.
Hier ist das Geistige, das Wesenliche mit den Mitteln der Kunst zu neuem Leben erweckt.
In einem Aufsatz aus dem Jahr 1957 schrieb Ber Heller: "Alles Lebendige entsteht aus dem Spannungsverhältnis von Gegensätzen. Die Spannungen der Bildkomposition, dynamisch-statisch, hell-dunkel, warm-kalt, klein-groß, leicht-schwer: alle stehen in ständiger Wechselbeziehung zum Inhalt, zur Aussage - dienen dem, was der Maler mitteilen will". Heller weist hier auf das Spannungsverhältnis der Gegensätze hin, das die Spannungen der Bildkomposition ausmacht. Im Bild der Weigel sind die genannten Spannungen voll vorhanden. In die reichen Veleurs des Kopfes der Schauspielerin ist das flache Schwarz der Courage-Figur des dahinter hängenden Plakates förmlich eingezogen. Selbst Licht und Schatten lösen einander nicht ab, sondern sind widerpartnerisch gegeneinandergestellt. Es gibt in dem Bild keine Stelle, an der nichts passiert, an der nicht Gegensätze Lebendiges erzeugen. Man spürt, daß der Maler bei diesem Porträt selbst inmitten der Sache ist und daß er mit dem Bild der Weigel zugleich sein eigenes geistiges Konterfei gibt.
Aus: Union, 12.12.1971
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987
Adieu Elfenbeinturm, 196o
Bert Heller über Heinrich Ehmsen: "In seinem Goyabuch berührt Feuchtwanger eine Wurzelerkenntnis fortschrittlicher Malerei: Das Spiel der Farbe über zeichneriche Begrenzung hinaus - die Spannung zwischen grafischen und malerischen Elementen. Seit langem wußte ich darum.
Durch Ehmsen lernte ich es fühlen.
Die große Tradition ist nicht unser Verdienst - sie wiederholen zu wollen mißverstandene Ehrfurcht und stagnierend. Lebendiges Lernen tut sich wechselwirkend. Die Dinge reifen neben uns, in uns, außer uns. Durch Ehmsen lernte ich sie vergleichen.
Gleiche Arbeit ist eine eigene Sprache, verständlicher als andere. Um Bauernkrieg und Weberaufstand wußte ich - um die Saat der Oktoberrevolution. Hörte von Kampf und Frieden, von Frieden und Kampf - gehemmt in der Enge und dem Irren des Alltags.
Durch Ehmsen lernte ich das Ziel sehen."
Bert Heller hatte am 2. Januar 1960 an die Redaktion der Zeitschrift "Sonntag" einen Brief gesandt, - in dem er schrieb: "In der Kunst ist das Beglückendste, was je erreicht werden kann, die Verschmelzung mit dem Volkstümlichen. Wer erlebt hat, wenn einfache Menschen sich freuen können über etwas, was man gearbeitet hat und künstlerisch gut ist, wird immer diese Bejahung anstreben. Keine noch so elfenbeinere Isolierung kann das ersetzen".
Das Bild "Adieu Elfenbeinturm" hat den Weg zum Inhalt, der allein zum "Beglückendsten, was je erreicht werden kann" führt, den Weg zur Verbindung von Kunst und Volk.Im weitesten und zugleich besten Sinne des Wortes haben wir es mit der Gestaltung eines solchen Augenblicks zu tun, der uns Vergangenes begreifen und Zukünftiges ahnen läßt. Die Bauern und die zwei Kinder, die hier den arbeitenden Maler umstehen, die an seiner Arbeit teilnehmen, indem sie Bild und Natur vergleichen und prüfen und über das Gesehene Nachsinnen und es dabei auf neue Weise tiefer und umfassender zu begreifen beginnen, werden sich wandeln und morgen wissender, gebildeter, reicher sein, als sie es früher waren. Und ebenso wird es dem Maler ergehen, der das Atelier verließ und auf das Land ging, um die neue Wirklichkeit kennzulernen. Noch ist er unsicher. Sein Gesicht spiegelt nicht nur Konzentration, die die Arbeit erfordert, sondern wir spüren, daß er bei den Bauern noch nicht zu Hause ist. Es mischen sich vorgenommene Standhaftigkeit mit Verlegenheit und der noch nicht überwundenen Furcht vor leidiger Irrtumsmöglichkeit.
Auch in diesem Bild gibt es keine räumliche Tiefe. Die Anordnung der Figuren verläuft in der Form eines stumpfen Winkels, dessen linker Schenkel allmählich ansteigend bei der Schulter und dem Kopf des vor der Kuh stehenden jungen Mannes beginnt, den Scheitel in dem bemützten Kopf des sich hinter dem einen Jungen vorbeugenden Mannes erreicht und dessen rechter Schenkel in einem Zuge steil nach dem Kopf des kleinen Jungen rechts unten abfällt. Zu diesem jähen Abfall bilden die drei Köpfe der zwei Männer und der Frau rechts oben noch eine Parallele. Zwar können wir im Hintergrund, der im übrigen noch rechts von einem Traktor zugestellt ist, weite Felder und ein paar landwirtschaftliche Maschinen sehen, aber dieser Hintergrund ist nichts anderes als eine Folie für die Vordergrundgruppe. Das Erstaunliche ist allerdings, daß der kärgliche Hintergrund genügt, um die Lokalität und sogar die Jahreszeit eindeutig festzulegen. Wir sind während der Getreideernte auf den Feldern einer Genossenschaft.
Die Farben tun ein übriges, um Ort, Zeit und die Ordnung der Figuren zu klären. Die stärksten Dunkelheiten sind an denRand genommen, und die Mittelgruppe, die mit der älteren Frau, die beim Schauen und Überlegen die rechte Hand zum Kinn erhoben hat, beginnt und bei dem Jungen endet, der über den linken Arm des Malers auf das in Arbeit befindliche Bild sieht, ist in den von Heller nunmehr mit Vorliebe benutzten hellen, kühlen Tönen gemalt. Auch hier gibt es die überraschenden Einsätze von kräftigem Blau, hellem Braun, Grün und gebrochenem Weiß. Das sind Farben, die so, wie sie der Maler benutzt, in der Natur ganz und gar nicht vorhanden sind. Es sind künstlerische Erfindungen, die die Figuren voneinander lösen, und das auch dann, wenn einer seine Hand auf den Oberarm eines anderen legt. -
...daß die dekorative Wirkung ein Mittel zum Zweck, und zwar nicht nur zum Zweck der Steigerung der Attraktivität des Anzuschauenden, sondern zur Erhellung des fortschrittsfreudigen, zukunftsbejahenden Bildinhaltes ist, wird hin und wieder übersehen. - Alles stimmt, nur die Farben nicht. (so gesehen stimmen weder die Farben bei Rembrandt noch bei van Gogh). Doch so kommen wir nicht weiter. Die Frage muß lauten: Verselbständigen sich die Farben, führen sie ein Eigenleben (und das wäre eines der vielen Krankheitszeichen spätbürgerlicher Dekadenz), oder tun sie es nicht. Es ist zu bezweifeln, daß heute noch jemand diese Frage bejahte.
Aus: Katalog Bert Heller, 1972
Abb. in: Gemäldegalerie Dresden, Neue Meister, Bestandskatalog, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1987